Franz-Josef Mülder (Antwort: Hans-Georg Glasemann) (11/2023)
Wechselkredit 1923: Verlustreiche Finanzierung?
Franz-Josef Mülder besitzt aus familiärem Umfeld einen Wechsel vom Oktober 1923 über einen Wert von hundert Billionen Mark. Das Interessante an diesem Wechsel sind die Wechselsteuermarken, die ihm eine Länge von ca. 3,50 Metern geben. Er möchte nun wissen: Was ist so etwas wert? Wie geht man damit um?
Hans-Georg Glasemann aus Diessen am Ammersee antwortet ihm:
Der unten abgebildete Wechsel der Firma F. Mülder & Sohn, Mechanische Leinen-Weberei und Appreturanstalt
in Emsdetten (Westfalen), aus dem Oktober 1923 zeigt exemplarisch auf, wie man mit einem Wechselkredit in
Zeiten der Hyperinflation erhebliche Währungsverluste machen konnte. Ein Wechsel ist eine schriftliche,
unbedingte, aber befristete Verpflichtung zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme zugunsten des legitimierten
Inhabers der Urkunde. Der Wechsel fixiert eine Zahlungsanweisung. Da ein Wechsel nicht sofort fällig wird,
wird er auch als Kreditmittel angesehen. Der Wechsel kann bestimmen, dass der Geldbetrag entweder an den
oder die Wechselaussteller (Wechsel an eigene Order) oder einen Dritten (Wechsel an fremde Order) ausbezahlt
wird.
Dieser Wechsel wurde am 25. Oktober 1923 von der Firma F. Mülder & Sohn, Mechanische Leinen-Weberei in Rheine (Westfalen) über einen Betrag von 100 Billionen Mark ausgestellt. 100 Billionen Mark ist eine 1 mit 14 Nullen, also 100.000.000.000.000 Mark. Der Text des Wechsels … Am 6. November 1923 zahlen Sie gegen diesen Wechsel an unsere Ordre die Summe von hundert Billionen Mark Herren F. Mülder Sohn Emsdetten (Bezogener) … Die Ordre der Zahlung war die Reichsbanknebenstelle Rheine, die die Wechselausstellung mit Datum vom 25. Oktober 1923 als „Bezahlt“ auf der Rückseite des Wechselpapiers amtlich bestätigte.
Um den realen Geldwert solcher Beträge zu verstehen gab es 1923 Broschüren, die für jeden einzelnen Tag eine Umrechnung von Mark (Papiermark) in US-Dollar auf Basis der amtlichen Dollar-Mittelkurse der Berliner Börse dokumentierten und die historischen Kurse bis heute zugänglich machen. Die Rechnung ging wie folgt auf:
- Am Tag der Wechselausstellung, den 25. Oktober 1923, kostete 1 US-$ = 65.000 Millionen Mark (65.000.000.000 Mark). Der Betrag von 100 Billionen Mark hatte somit einen Wert von 1.539 US-$.
- Rund zwei Wochen später am Tag der Wechselrückzahlung, den 6. November 1923, kostete 1 US-$ = 420.000 Millionen Mark (420.000.000.000 Mark). Der Betrag von 100 Billionen Mark hatte zu diesem Zeitpunkt also einen Wert von 238 US-$.
- Die Wechselkredit erbrachte somit einen währungsbedingten Verlust von 1.301 US-$.
Auf den Betrag von 100 Billionen Mark war auch die Wechselsteuer zu zahlen. Die Wechselsteuer war eine Verkehrsteuer auf gezogene und eigene Wechsel im Inland. Die Entrichtung der Steuer erfolgt normalerweise durch Aufkleben von Steuermarken auf die Rückseite des Wechsels. Da die hier seinerzeit verwendeten Wechselsteuermarken jedoch „nur“ über 500 Millionen Mark lauteten (das waren am 25. Oktober 1923 0,0077 US-Dollar) brachte man die Steuermarken in einer Allonge am Wechselpapier an. Die Allonge hatte aufgrund des minimalen Werts der Steuermarken eine Länge von 3,50 Metern!!!
Anmerkung zur Firma F. Mülder & Sohn, Mechanische Leinen-Weberei und Appreturanstalt in Emsdetten
Am 5. Juni 1856 legten Johann Hermann Franz Joseph Möller, genannt Mülder und dessen Sohn Bernhard Franz Mülder den Grundstein für die Firma F. Mülder & Sohn. Mit 100 Heimwebern begann die Firma im Verlagssystem. 1872 stellten sie den Konzessionsantrag für eine mechanische Leinen- und Baumwollweberei am Katthagen. Diese brannte am 21./22.11.1892 nieder und wurde am alten Standort wieder aufgebaut. 1921 betrieb die Firma 257 Webstühle. 1928 übernahm Josef Mülder die Firmenleitung. 1938 entstand am Brink das markante zweistöckige Bürogebäude mit Walmdach und einem Arkadengang mit sieben halbrunden Bögen auf weißen Säulen. Dieses Gebäude ist als einziges übrig geblieben und kann heute noch auf dem Brink bewundert werden. Der Fabrikkomplex am Katthagen wurde 1974 abgebrochen. Heute befindet sich hier der Supermarkt Kaufland mit dem Parkdeck. Die Firma F. Mülder & Sohn wurde Mitte 2005 liquidiert und im Handelsregister gelöscht.
Sammlerwert alter Wechselpapiere
Der hier vorgelegte Wechsel ist eigentlich ein „Historisches Wertpapier“. Sammler dieser Wertpapiere ignorieren normalerweise derartige Papiere, wie den hier vorliegenden Wechsel. Wechsel werden nur dann preislich höher bewertet, wenn sie die Original-Unterschriften berühmter Persönlichkeiten enthalten (z. B. Ferdinand de Lesseps) oder es sind extrem seltene Wechsel bekannter Institutionen (z. B. die im Zweiten Weltkrieg zur Rüstungsfinanzierung eingesetzten Mefo-Wechsel). Allenfalls Heimatsammler haben Interesse an dem vorliegenden Wechsel. Schwierig wird es einen Käufer dafür zu finden. Meist ist das nur über digitale Plattformen wie eBay möglich. Einen fairen Preis würde ich in der Bandbreite von 15 bis 50 Euro verorten.
Apropos
Liebe Sammler, bitte lest euch doch mal diesen Beitrag aufmerksam durch. Kann es sein, dass in diesem Beitrag ein Denkfehler drinsteckt und bei diesem Wechsel kein Inflationsverlust, sondern eventuell ein Inflationsgewinn entstanden ist? Ich bitte euch um Prüfung. Gruß HGG
Hans-Georg Glasemann
nonvaleurs.de@gmail.com
Ich bin Sammler Historischer Wertpapiere und aktiv
im EDHAC (Erster Deutscher Historic-Actien-Club e.V.).
Quellen: Mülder (F11/23)